Kriegsjahr 1918 in Herzogenbuchsee
Influenza , Streik und Stromausfall
Vor genau hundert Jahren überrollten mindestens vier kapitale Ereignisse die Buchser Bevölkerung: Die Mangelwirtschaft im Ersten Weltkrieg, das Kriegsende mit seinen Hoffnungen, der Generalstreik bei Transport und Industrie sowie die Spanische Grippe. Ein fünftes Thema beschäftigte das kleine Herzogenbuchsee ebenso stark. Aus heutiger Sicht ist überraschend, wie harmlos es war.
2704 Brotkarten zählte man im Januar 1918 im Ort, gleich viele wie Einwohner. Dabei müsste „Brot“ in Anführungszeichen gesetzt werden. Denn weil Getreide äusserst knapp war, hatten Kartoffeln für die Brotproduktion herzuhalten. Erst im Februar war Schluss mit der kaum geniessbaren Pampe, die so fast nichts mehr von einem feinen Weggli hatte. Da endlich schickten die USA in ihren Geleitzügen nach Europa auch Getreideschiffe für die Schweiz, teuer und langsam. Und auch nicht ohne Friktionen. Von den fünf Getreideschiffen für die Schweiz, welche den deutschen U-Booten im Februar auf dem Atlantik zu entwischen suchten, kamen nur drei durch. Eins wurde torpediert und sank und eins musste wegen Schadens umkehren.
Sogar das Bier wurde immer dünner
Immerhin: Langsam war wenigstens beim Getreide ein Licht am Ende des Tunnels sichtbar, dank amerikanischem Kriegseintritt. Aber der nächste Mangel war schon in Sicht – eine schlechte Kartoffelernte. Nach Milch, Kohle, Fleisch, Leder, Eiern und andern Rationierungsprodukten sollte es nun also auch immer weniger Härdöpfel zu beissen geben. Das lag nicht nur an der mangelnden Lebensmittel-Produktion. Damit die Schweiz überhaupt noch ein bisschen Kohle, etwa für ihre Züge, bekam, musste exportiert werden: Fleisch und Zuchtvieh, Käsekonserven, Schokolade für die Schützengräben in Flandern, auf beiden Seiten.
Am schlechtesten ging es dabei den Industriearbeitern in der Stadt. Sie mussten vollständig von aussen versorgt werden, kaum jemand kannte Bauern persönlich. Auch mies ging es den Büezer-Haushalten auf dem Dorf, wenn sie keine Beziehungen zu Bauernhöfen hatten. Denn dort gab es durchaus Lebensmittel, die aber teils zur Eigenversorgung, teils zur Preissteigerung gehortet wurden. So musste der Bund den Buchser Bauern vorschreiben, dass sie monatlich 800 Eier auf dem Markt anzubieten hätten. Zu guten Preisen natürlich. Ein Ei kostete laut den Markberichten 35 bis 40 Rappen. Ein Primarlehrer musste im Schnitt mit 170 Franken im Monat auskommen, eine Industriearbeiterin mit etwa 100 Franken. Sie konnte also gerade mal 300 Eier im Monat kaufen. Heute gibt es für einen Inudstriearbeiterlohn durchaus 9‘000 bis 12‘000 Eier. Zum Glück hatten viele Häuser Vorgärten, die den Kauf wenigstens von Kohl oder Kartoffeln unnötig machten. Aber auch da gab es eine unglückliche Minderheit. Denn der aufstrebende Industrieort Herzogenbuchsee wies einen eklatanten Wohnungsmangel auf. Der Gemeinderat musste sich mehrmals mit dem Thema befassen. Aber wie? Um Wohnungen zu bauen hatte die Gemeinde selber kein Geld, und Mietpreisbegrenzungen gegen oben schufen auch keinen neuen Wohnraum. Eine wenig Linderung verschaffte, was überall in der Schweiz die öffentliche Hand beschäftigte: Individuell ausgerichtete Nothilfe. Jeder sechste Bewohner war auf sie angewiesen. Da war es sogar schwierig, das Elend im Alkohol zu ersäufen. In jenen kummervollen Tagen hatte das ausgedünnte Bier auch nur noch vier statt wie heute fünf oder sechs Prozent Alkohol.
Damit die Buchser Soldaten im Jura keinen Hunger zu leiden hatten, wurde, wie oft in sozialen Fragen am Ort, der Frauenverein aktiv. Amelie Mosers Helferinnen sammelten im Frühjahr erstaunliche acht Tonnen Frisch-Gemüse für die Einheiten an der Front, weil es dort sonst nur noch gedörrtes Gemüse auf dem Teller gab.
Natürlich war auch das Bier deutlich teurer als bei Kriegsbeginn. Fast alle Preise waren explodiert, Weizen zwischen 1914 und 1917 um 160, Zucker um 164, Steinkohle um 150 und Roheisen um 300 Prozent. Die Kohle legte dann 1918 gerade nochmals 150 Prozent zu.
Aus heutiger Sicht könnte man ja sagen: Okay, da war ja das Kriegsende bald in Sicht. Aber das sah aus dem Blickwinkel der Zeitgenossen bis im Herbst keineswegs so aus. Wie vier Jahre lang vorher wogten die Kämpfe in Belgien/Frankreich hin und her – Drôle de guerre. Erst im Herbst rückten die Alliierten dank Unterstützung der US-Truppen nachhaltig vor, begleitet von einem neuen grässlichen Kampfinstrument, dem Panzer.
BuchsiZytig, Dürrenmatts Anti-Freisinnsplattform
Wissen tun wir das alles so genau vor allem dank den Tageszeitungen. In Buchsi kam die überregional bedeutende Berner Volkszeitung (genannt Buchsi-Zeitung) heraus, verlegt und primär getextet von Ueli Dürrenmatts Sohn Hugo, einem strammen Konservativen. Das Blatt erschien drei Mal pro Woche, in der Regel mit vier Seiten, eine halbe bis eine Seite davon Inserate. Dürrenmatt bekämpfte mit seinem Bruder Oskar vor allem den Freisinn, während die sozialdemokratische Tagwacht in Bern ihn weniger im Blatt drin stand, die aber dafür viele Anbautipps, Vortragshinweise und einen Fortsetzungsroman nach dem Geschmack der Landwirte und vor allem ihrer Frauen lieferte. Anfangs Jahr war das „Gräfin Sophies Heirat“, in der Jahresmitte „Das Geheimnis der alten Mamsell“ und am Jahresende „Die alte Geige“, nicht grad Bücher, die heute in der Biblere noch ein Renner wären.
Auch sonst war man mit der Buchsi-Zeitung besser über die Bauern als über die Industrie, die kaum je vorkam, im Bilde. Im April vermeldete das Blatt, dass es in Buchsi 497 Stück Vieh, 71 Ziegen, 56 Pferde und 1609 Hühner gebe. Unter den 120 Viehbesitzern seien 48 Bauern. Im Mai ging mit dem Älplerfest samt Umzug bei der „Frohburg“ eins der grössten Jahresereignisse im Dorf über die Bühne, gebührend abgefeiert bei Dürrenmatt. Im September nahm das Dorf für (zwangsläufig) verkauftes Getreide den horrenden Betrag von 21‘000 Franken in Empfang. Und während die Arbeiter wie wild im Herbst Pilze zwecks Ernährung sammeln mussten, konnte Dürrenmatt im Oktober befriedigt über die Leistung der Bauern feststellen, „dass die Milchproduktion in unserer Gemeinde eine mehr als hinlängliche ist“.
Über Buchsi war unter „Oberaargauische Chronik“ meist Text in der Grösse einer halben Spaltenlänge zu lesen. Langenthal kam in Dürrenmatts Blatt praktisch nicht vor, dann eher noch Niederbipp oder Wangen. Leserbriefe gab es auch, in der Regel anonyme, nach dem Motto oben auf der Frontseite: „Dem freien Mann das freie Wort – dem Recht zum Schutz, der Wahrheit Hort!“.
Das Auf und Ab der Grippe
Zweifellos das drückendste Thema 1918 war aber trotz allem nicht der Hunger sondern die unheimliche Bedrohung der verheerendsten Seuche seit der Pest, der Influenza oder Spanischen Grippe. Am 18. Juli vermeldete Dürrenmatts Zeitung das erste Opfer, den Buchser Soldaten Charles Rytz. Und weil die Gräber zahlreicher wurden, mussten Massnahmen ergriffen werden. Die 1.-August-Feier wurde abgesagt, die Gottesdienste eingestellt. Im August blieb die Kirchenuhr stehen und die Glocken blieben (aus Protest) stumm. Denn die Behörden hatten zwar den Gottesdienst verboten, zum Ärger vieler Frommer aber nicht die Wirtshäuser und die Schulen geschlossen.
Während also ab und zu die Kanonen aus dem Elsass zu hören waren, etwa um Ende Januar und Mitte September, erkrankten die Buchserinnen und Buchser in hellen Scharen an der gefährlichen Grippe, im Oktober und November jede Woche zusätzliche 40 bis 60 Personen. Dabei hatte man die Seuche im September schon für praktisch überwunden gehalten. Das Bezirksspital war längst überfüllt, da kamen die Buchser auf die Idee, im Primarschulhaus zusätzlich ein provisorisches Spital mit knapp zwei Dutzend Betten einzurichten. Wenn die Grippe unterdurchschnittlich viele Opfer in Buchsi gekostet habe, so die Zeitung, sei das der vorbildlichen Krankenversorgung in den zwei „Spitälern“ zu verdanken gewesen. Unterdurchschnittlich hiess wohl unter ein Prozent, also weniger als 25 Grippetote im Dorf. Denn etwa ein Prozent der Schweizer Bevölkerung bezahlte 1918/1919 die Ansteckung mit dem Leben, oft eher Junge als Alte.
November: streik-ambivalente Lina
Im November verknüpften sich in Buchsi wie überall gleich drei Zeitstränge: Die Grippe, das Kriegsende (im Westen) und der Generalstreik. Die Buchsi-Zeitung hatte zwar im August Kenntnis vom Oltner Komitee, das später den Generalstreik organisierte, genommen. Das Blatt hatte den Eisenbahnerstreik in Huttwil relativ leidenschaftslos vermerkt. Bei den ersten Streiks in Zürich aber rief Dürrenmatt kämpferisch: „Bürgerwehr hervor!“ Umgekehrt verpasste die Zeitung die ganze Zuspitzung vor dem 12. November vollständig: Kein Wort über die Absichten und Aktionen von Grimm, Platten und den andern linken Aktivisten. Stattdessen ging es am 5. November unter dem Titel „Fremde Revolutionäre gegen die Schweiz“ um einen Anarchistenprozess und am 7. November um die Angst, dass in Deutschland auf Kriegsende hin die „Bolschewiken“ siegen würden. Am 12. November aber, dem Beginn des Generalstreiks sorgte sich die Zeitung um zu wenige Nachttischchen im provisorischen Primarschulhaus-Spital und bekam lediglich in einer kleineren Notiz mit, dass das Infanterieregiment 16 zum Einsatz in Zürich aufgeboten wurde. Sogar das so lang ersehnte Kriegsende, das ja just mit dem Beginn des Generalstreiks zusammenfiel, ging in der Zeitung fast ein wenig unter.
Lina Bögli, die schweizweit bekannte Reiseschriftstellerin, die im „Kreuz“ wohnte und Buchsi gut im Blick hatte, vertraute ihrem Tagebuch Aktuelleres an als Dürrenmatt seiner Zeitung. Schon am 11. November hatte sie notiert: „Heute herrschte grosse Aufgeregtheit im Lande, weil von Mitternacht an der Generalstreik walten solle. Es ist wieder viel Militär aufgeboten worden. Unzählige Autos sind hier vorbeigesaust. Wir scheinen wirklich vor der Revolution zu stehen. Wolle Gott uns vor zu grossen Ausschreitungen schützen!“. Ihr Blick aus dem Eckzimmer im zweiten Stock und ihre Spaziergänge brachten am 12. die folgende Erkenntnis: „Das ist also der grosse Tage des Generalstreiks. Bei uns merkt man wenig davon, ausgenommen, dass die Fabriken stillstehen, weder Züge noch Postautos fahren, dagegen eine Unzahl Militärautos.“
Die politikerfahrene Lina, die um 1912 auch die politischen Wirren in Japan, Korea und China fachkundig kommentiert hatte, konnte nicht wissen, dass es nicht streikende Buchserinnen und Buchser waren, welche die Fabriken im Ort lahmlegten, sondern schlicht der Umstand, dass man in Wynau im Rahmen des Streiks den Strom abgedreht hatte. Die drei grossen Schuhfabriken, Hug, Stuber und Rapp, sowie die mosersche Seidenbandweberei, standen deshalb still. Dürrenmatt berichtete am 16. November Folgendes: „In den hiesigen Betrieben war das Arbeitspersonal am Dienstagmorgen ziemlich vollständig zur Arbeit eingerückt, indem ein grosser Teil der hiesigen Arbeiterschaft den Streik verurteilte. Gegen 10 Uhr wurde dann aber die Stromlieferung durch das Elektrizitätswerk Wynau unterbrochen…“ Je länger das Ereignis zurücklag, desto mehr schien Dürrenmatt aufgebracht gegenüber den Bolschewiken, wie er das Streikkomitee nun auch nannte. Lina war da ambivalenter. Am 14. November vermerkte sie: „Noch immer abgeschlossen von der Welt. Keine Züge, keine Zeitungen (die Donnerstagsausgabe der Buchsi-Zeitung war ausgefallen, hks), jedoch heisst es, der Bundesrat sei fest geblieben u. habe den verschiedenen mehr oder weniger vernünftigen Verlangen der Sozialisten nicht nachgegeben.“
Woher wusste Lina das ohne Zeitung? Durchs Telefon? Davon gab es in Buchsi erst sehr wenige. Und was bewog sie zu dieser verständnisvollen Haltung den Linken gegenüber?
Rätsel gibt auch der Umstand auf, dass die Dürrenmatt-Zeitung am Samstag den 16. unter dem Titel „Wie die Bolschewiki auf Deutsch heissen“ eine bemerkenswerte antisemitische Tirade losliess, aber Lina schon am 15. im Tagebuch genau diese Argumentation übernommen hatte. Am Samstag zitierte das Buchser Blatt die Dorpater Zeitung“. Die hatte gefragt: „Weshalb eignen sich die Herren Bolschewiken russische Familiennamen an? Weshalb nennen sie sich … Sinowjew – und nicht Apfelbaum, Trotzki – und nicht Bronstein, Kamenew – und nicht Rosenfeldt…?“ Lina Bögli wusste das schon am Freitag 15. November und vertraute dem Tagebuch an: „Der Streik ist beendet, das Leben geht wieder in normalen Bahnen vor sich. Wie ich eben lese, hat die Westschweiz nicht mitgemacht, die waren zu gescheidt, als dass sie sich unter das Szepter der russischen Bolschewiken, die ja doch alles nur Juden sind, ordnen. Wann werden wohl die Deutschschweizer zum Verstande kommen?“
Wie Lina zu den früheren und späteren Streiks der Buchser ArbeiterInnen beim damals grössten Arbeitgeber des Ortes, der „Huugi“ stand, ist noch nicht bekannt. Ihre Haltung zu den je erfolgreichen Arbeitsniederlegungen von 1916 und 1919 harrt noch der historischen Recherche.
Prominente Todesfälle: Robert Moser und Marie Krebs
Sie waren 1918 keine Opfer der Spanische Grippe sondern sozusagen normale Todesfälle: Robert Moser und Marie Krebs.
Moser, Jahrgang 1838, der Bruder von Amelie, starb Ende Januar nach einem reichen Leben als Bahnexperte. Um die Jahrhundertwende war er der wohl meistbeschäftigte Bahningenieur der Schweiz überhaupt, mit viel Erfahrung im Ausland und mit Pionierleistungen bei der Rhätischen Bahn und am Gotthard. 1902 wurde Moser in den ersten Verwaltungsrat der SBB berufen und bekam 1905 den Ehrendoktor, lehnte aber eine ETH-Professur ab. In Herzogenbuchsee hatte er um 1860, mit Anfang zwanzig (!), den städtebaulichen Entwurf des Bahnhofquartiers hervorgezaubert. Das Resultat lässt sich heute noch sehen. Und die neuesten Planungen fürs aktuelle Bahnhofquartier basieren nach wie vor auf seinem genialen, nun über 150-jährigen Entwurf.
Marie Krebs-Schüpbach (Jahrgang 1847) ist vielen LeserInnen vor allem als Mutter von Maria Waser und Gattin des legendären Dorfarztes Walther Krebs bekannt. Ohne sie wären all die aufopferungswilligen Einsätze des Arztes sowohl in den Buchsibergen als auch bei der Grippeepidemie nicht möglich gewesen. Auch Marie Krebs war in ihren jüngeren Jahren schriftstellerisch aktiv, was sich aber im Alltagsstress der Aerztegattin nicht mehr fortsetzen liess. Bei Amelie Moser amtete sie als Sekretärin des Frauenvereins. Ferdinand Hodler, der bei Krebsens ein uns aus ging, hatte Marie Krebs, wie später auch Tochter Maria (das „Runggeli“) 1876 als junge Frau gemalt.
Staub zu Staube
1918 war nur militärisch ein Autojahr. Otto Küpfer hatte 1904 im Dorf das erste Auto angeschafft, aber die knatternden Gefährte waren 14 Jahre später noch rar. Vor allem gab es für Private nur sauteures Petroleum als Treibstoff. Wegen Treibstoffmangel war zum Beispiel im April der ganze Regionalbusbetrieb eingeschränkt worden. Dennoch kam im trockenen Sommer im Dorf eine Polemik auf, die fast eben so viel Druckerschwärze benötigte wie die Grippe-Epidemie. Schon im Juni beklagte sich ein Anonymus vor allem darüber, dass die Dorfbrunnen munter sprudelten, aber kein Wasser für die Staubbekämpfung auf den Hauptstrassen zur Verfügung stehe. Im August traf sein voller Spott dann den Gemeinderat: „Der in Vergessenheit geratene neue Strassensprengwagen, der im Jahre des Heils 1918 noch kein einziges Mal „aufgefahren“ ist, wird sich nun in den Winterschlaf begeben, um nachher sein tatenloses Dasein weiter zu fristen. Es leben unsere wasserscheuen Gemeindeväter!“. Etwas vorher hatten die Anwohner in der Bahnhofstrasse zur Selbsthilfe gegriffen und mit Giesskannen das Nass auf der vor allem wegen der Autos staubigen Trasse verteilt. Die Polemik hielt bis im Herbst an. Hätte es schon eine Fasnachtszeitung gegeben, wäre das wohl der Aufhänger gewesen.
Relativiertes Unglück
Alles in allem überstand Herzogenbuchsee das letzte Kriegsjahr zwar darbend, aber im schweizweiten Vergleich noch einigermassen heil. Die Seidenbandweberei war zum Glück nicht von Baumwolllieferungen abhängig, die anfangs 1918 fast total ausfielen. Die Schuhindustrie benötigte noch kaum Leder, denn Hug zum Beispiel begann erst 1919 mit Lederschuhen. Die Holzschuhproduktion lief in den Kriegsjahren ganz passabel und Arbeitslosigkeit gab es im Dorf in unterdurchschnittlichem Ausmass. Die Bauern waren zwar mit der an Rationierungen gewöhnten Bevölkerung wenig solidarisch, murrten aber auch nicht öffentlich, als sie von den Behörden zu etwas mehr Grosszügigkeit gezwungen wurden. Finanziell lohnte es sich für sie allemal; sie gehörten jedenfalls nicht zu den Kriegs-Verlierern, liefen doch auch Käseproduktion und Käseexport glänzend. Immerhin: Als der Frauenverein für die Soldaten Gemüse sammelte, bewiesen die Bauern dann doch noch Grosszügigkeit. Dass die gute Spitalversorgung in Herzogenbuchsee die schlimmsten Auswüchse der Spanischen Grippe verhinderte, bekamen die Buchser auch von aussen bestätigt. Auch hier waren es ja Amelies Frauen gewesen, die dem Dorf das Bezirksspital und eine glänzende Krankenutensilien-Versorgung beschert hatten. Ende Jahr zog dann auch der Gemeinderat nach und bewilligte eine Gemeindekrankenschwester-Stelle.
Hans Kaspar Schiesser, November 2018