Das Buchser Universalgenie Jakob-Wiedmer-Stern wird neu entdeckt
Wie Bäcker-Köbu und Maria Waser doch nicht zusammenkamen
Im letzten Jahr hatte «Kulturland» in Basel Jakob Wiedmers Bücher wiederentdeckt. Vor ein paar Wochen kam zu Jakob-Wiedmer-Stern nun eine vielbeachtete Biografie heraus. Sie enthält eine unerwartet grosse Fülle von Einzelheiten über das bewegte Leben des Buchsers.
Buchsi – und wenig auch Niederönz – ist reich an originellen historischen Persönlichkeiten. Und alle traten sie in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts auf: Maria Waser beginnt da ihre Schriftstellerkarriere, Amelie Moser gründet das Pionierwerk «Kreuz», Ueli Dürrenmatt entzückt und verärgert den Oberaargau mit politisch Gereimtem, Lina Bögli sammelt in Neuseeland und Samoa Material für ihren Reise-Bestseller «Vorwärts», Robert Moser prägt mit Steinbrücken das Weltkulturerbe Albula-Bahn – und Jakob Wiedmer gräbt, schon als Schüler, im Burgäschisee erfolgreich nach Pfahlbauer-Reliquien.
Nur: Wer kennt schon Jakob Wiedmer? Bis heute ist der Bäcker-Köbu (1876 bis 1928), wie der Junge in der Schule genannt wurde, nur indirekt all jenen bekannt, die Maria Wasers «Land unter Sternen» gut gelesen haben. Da kommt er im zweitlängsten Kapitel als «Genie» vor. Und wer denn noch das Vorwort zu seinem letzten Roman «Kyra Fano», auch von Maria Waser, gelesen hat, der ahnt: Die beiden hatten eine besondere Beziehung zueinander. Das war schon um 1890 herum so. Waser und Wiedmer trennten zwei Altersjahre, aber die jüngere Maria Krebs und der etwas ältere Köbu hatten die Serie von blanken Einsen im Zeugnis als Dauerabonnement gemeinsam. Später hatten sie mit der Begeisterung für griechische Kultur und Geschichte lebenslänglich ein gemeinsames Thema. «Kyra Fano» beschrieb, kein Zufall, den griechischen Befreiungskampf um 1820 gegen die Osmanen mit einer weiblichen Heldenfigur in der Hauptrolle.
Aber sie kamen trotz Schwärmen nicht zusammen, die Schriftstellerin und der Schriftsteller. Felix Müller, einem Berner Wissenschaftler, der lange im Historischen Museum gearbeitet hat, wo Jakob Wiedmer seinerzeit Direktor (1907 bis 1910) war, gelingt es ausgezeichnet, die Wege der beiden zu beschreiben und eine gewaltige Menge von Einzelheiten zu Wiedmers Leben auszugraben, von denen man vor einem Jahr noch nicht einmal einen Bruchteil gekannt hatte. «Das erstaunliche Leben des Archäologen und Erfinders» heisst der Untertitel der Biografie. Aber Wiedmer-Stern war mehr und aus heutiger Sicht unfassbar vielseitig: Er war auch Schriftsteller, Antiquitäten-Spekulant, Karikaturist, Hotelier (in Wengen), Kultur-Diplomat, Museums-Mäzen und Investor.
Letzteres freilich ging in den ökonomischen Wirren des Ersten Weltkrieges gewaltig schief. Die Wiedmers, die damals schon ihre Tochter hatten, verloren fast all ihr Vermögen vor allem mit einer Silbermine in Nevada und Spekulationen um die U-Bahn in Turin.
Müller legt in der Biografie mit dem Titel «Rastlos» schlüssig dar, was den früheren Buchser Bäckers-Sohn, der nie eine Matur abgelegt und nie studiert hat, zu diesen Spekulationen bewog. Und warum er keineswegs, wie bisher vermutet, mit 52 in Bern an «Rheumatismus» starb, sondern an etwas ganz Anderem.
Wiedmer, das «Genie», so wird bei der Lektüre klar, hat das gegenwärtige Revival verdient. Der Buchser und Niederönzer, wohin seine Eltern samt Bäckerei in der späten Jugend zog, ist so schillernd, dass es nicht verwundert, dass er seinerzeit noch als Bub die Buchser Chronik gerettet hat, die das Dorf-Original «Suppekari» (Anwalt Carl Moser) fast vollständig verbrennen liess. Letzte Reste sind übrigens im Dorfarchiv wirklich noch vorhanden.
Hans Kaspar Schiesser (hks) Oktober 2020
siehe auch:
Jakob Wiedmer (1876-1928) – Universalgelehrter aus Herzogenbuchsee;
Jakob Wiedmers Roman «Flut»
Das Buch über das Leben von Jakob Wiedmer-Stern, «Rastlos» von Felix Müller, ist im Buchhandel oder direkt beim Chronos-Verlag (www.chronos-verlag.ch) für 38 Franken erhältlich.
Hier ist das gesamte Buch «Flut» bereit zum Download