Amy Moser (1868 bis 1958)
Über ihre übermächtige Mutter Amelie Moser hat sie anderthalb Bücher geschrieben, darunter die grosse Brief-Biografie. Und sie war bis ins hohe Alter ab dem Tod ihrer Mutter 1925 die kulturell wohl aktivste Frau in Herzogenbuchsee. Aber sie selbst ist bisher nicht in den Genuss einer Biografie gekommen. Einige Reden und Aufsätze nach ihrem Tode 1958 sind die wichtigsten gedruckten Zeugnisse ihres Wirkens, das Buchsi über dreissig Jahre lang kulturell geprägt hat. Der gehaltvollste Nachruf stammt von Rudolf Moser, wohl einem jüngeren Verwandten, und beleuchtet bezeichnenderweise vor allem ihre musikalischen Vorlieben und Aktivitäten.
Sie selbst sah ihr Leben offensichtlich auch nicht als besonders action-reich an. Helene Roth erzählt in ihrem Jahrbuch-Bericht vier Jahre nach Amys Tod: „Anlässlich ihres 80. Geburtstages, ein reizendes Fest, das im «Kreuz» Ende Dezember 1948 eine grosse Zahl lieber Menschen um die verehrte Jubilarin scharte, erzählte Amy Moser unter anderem auf launige Weise, dass sie in jungen Jahren ab und zu auch lieber etwas anderes gemacht hätte, als an heissen Sommertagen droben auf dem Kirchhofe um die Kirche herum zu jäten.“ Auch dies war ein „Erbe“ ihrer Mutter, die in ihrer umfassenden Aktivität auch den Kirchhof gestaltete und anschliessend pflegte oder eben durch die Tochter pflegen liess.
Roth hatte einen durchaus kritischen Blick dafür, wie eingeschränkt Amy unter der grossen schwarzen Frau ein eigenes Leben haben durfte: „Amy Moser hätte die Möglichkeit gehabt, wie sie einst vor ihrem Vater gelegen, sich ganz der Musik als Beruf zu widmen. Aber dazu war bei ihr und ihrer Mutter kein Ehrgeiz vorhanden. Es bestand für die wohlhabende Tochter auch keine Notwendigkeit, mit einem Beruf das tägliche Brot zu verdienen.“
Amys aufregendste Momente in ihrem schliesslich neunzigjährigen Leben waren damit wohl die ersten fünf Monate: Die kurze Zeit als von zwei Elternteilen verwöhntes Baby im dienstboten-reichen Kolonialisten-Haus in Jakarta, die dunkle Zeit, als Vater Albert kurz nach ihrer Geburt schon starb, die rasche und lange Rückreise 1869 um den halben Globus zurück nach Herzogenbuchsee mit einer Mutter, von der eher unsicher war, ob sie wegen ihrer schweren Tropenkrankheit die Heimat noch einmal sehen würde.
1869 war das Jahr, als in den USA die Bahn erstmal den Kontinent von New York bis nach San Francisco durchquerte. Und es war das Jahr, als Wyoming für die Frauen das volle aktive und passive Wahlrecht einführte, 102 Jahre vor der Schweiz. Der Suezkanal war nach zehnjähriger Bauzeit nun offen und Ammann eröffnete in Langenthal seine Maschinenfabrik. Mutter und Tochter kamen erschöpft, aber lebend in Herzogenbuchsee an. Und ab dann verlief Amys Leben vor allem auf dem Viertel-Quadratkilometer zwischen dem Moserhaus an der Bernstrasse und dem „Kreuz“ und der Kirche.
Rudolf Moser rühmt ihren Einsatz im Frauenchor Herzogenbuchsee, ihre vielen Begegnungen mit musikalischen Grössen, aber eben auch das eigene Talent: „Ihre pianistische Begabung war beachtlich. Sehr früh war ihr Können gereift, so dass ihr schon als 14-jähriger in einem Kirchenkonzert des Männerchors Herzogenbuchsee die Begleitung von Violoncello-Vorträgen (Schuberts Ave Maria und Litanei) anvertraut wurden.“ Zwischen 1914 und 1944 schuf sie sich ein immer grösser werdendes Publikum mit Vorträgen über Komponisten, Schumann, Bach, Telemann oder Dvořák, rund zwei Dutzend, wie sich Rudolf Moser erinnert. Was sie in den dreissiger Jahren hier organisierte, wurde nie mehr erreicht: Die Aufführung der Matthäus-Passion (1930), der Johannes-Passion (1931), Mendelssohns „Elias (1934) Händels „Acis und Galathea“ (1935), Haydns „Schöpfung (1941) oder seine „Jahreszeiten“ (1942).
Unter der „Dorfmutter“, wie sie, immer mit ihrem schwarzen Mantel unterwegs, genannt wird, beteiligt sich der Frauenverein an der ersten wichtigen Frauenausstellung SAFFA in Bern, unter ihr entsteht die Jugendherberge, und als sie 1958 stirbt, verhilft sie den PfadfinderInnen posthum mit Land und Geld zu einem Pfadiheim im „Kreuz“-Hof, bei dessen Bau allerdings der archtitektonische Geschmack der Moser-Frauen vermisst wird.
Zumindest in der nationalen Kunstgeschichte ist sie aber die wichtigste Frau im Oberaargau geblieben. Ferdinand Hodler malte die achtjährige Amy, die 1876 konzentriert ihre Schiefertafel mit dem Griffel beschriftet. Das Bild gehört heute dem Kunsthaus Zürich. Als sie 80 ist malt auch Helene Roth sie. Und zu ihrem achtzigsten Geburtstag schenkt ihr der gleichaltrige, befreundete Cuno Amiet die „Landschaft der Buchsiberge“ mit „herzlicher Widmung an Frl. Moser“.
Hans Kaspar Schiesser