Schuh Hug: Eine Million Schuhe pro Jahr
Das 19. Jahrhundert war noch das Zeitalter der Holzschuhe. Der 1854 in Thunstetten geborene Fritz Hug (+ 1934) gründete 1878 seinen kleinen eigenen Betrieb in Herzogenbuchsee. 1909 war er so erfolgreich geworden, dass er an der Unterstrasse ein grosses Produktionsgebäude beziehen konnte. In den 50er-Jahren war Hug hinter Bally die zweitgrösste Schweizer Schuhfabrik. Ab den 60er-Jahren kriselte es aber: Der Konkurrenz der Billiglohnländer war wenig entgegenzusetzen. 1968 wurde die Produktion, 1982 auch der Verkauf eingestellt.
Firmengründer Fritz Hug stammte aus einem armen Türvorlagenflechter-Haushalt in Thunstetten. Der Vater starb früh, Fritz begann mit dem Geldverdienen, in dem er die Post vom Bahnhof Bützberg abholte und im weitläufigen Thunstetten verteilte. 1871, mit 17 Jahren, begann er eine Lehre als Holzschuhmacher bei Grossonkel Joahnn Trösch in Bettenhausen. Er blieb nach der Lehre – bei einem Jahreslohn von 320 Franken sowie Kost und Logis – im Betrieb und heiratete jung mit 21.
Ein erster kleiner Durchbruch passierte 1878. Mit einem Darlehen vom Grossonkel beschaffte er sich eine Nähmaschine und zog nach sechs relativ erfolgreichen Jahren nach Herzogenbuchsee. Die Märkte in Willisau und Solothurn brachten zahlreiche Aufträge, und 1896 expandierte Hug in eine zweigeschossige Werkstätte. Er stellte die leichteren, eleganteren Holzschuhe nach Pariser Modell her, von denen ein Paar für Erwachsene um die zwei Franken kosteten. 1909 folgte ein dreigeschossiger Neubau an der Unterstrasse (1968 abgebrochen). Hug hatte inzwischen erfreulich Marktanteile erobert, und die Arbeit war mittlerweile von Maschinen mit elektrischen Antrieben bestimmt. Zwei seiner vier Kinder, die Söhne Alfred und Franz, arbeiteten aktiv mit. 1911 übernahm die junge Generation die Leitung des respektablen Unternehmens.
Der erste Weltkrieg brachte (zivilen) Ledermangel, aber eine hohe Schuhnachfrage. Die Firma expandierte kräftig, und 1915 konnte sie eine eigens weiterentwickelte Holzschuh-Maschine patentieren lassen. In jener Zeit, in der die Bauern und die Fabrikanten grosse Geschäfte machten, aber die Arbeiterlöhne trotz massiv anziehender Teuerung oft gekürzt wurden, probierte es auch die Firma Hug mit Lohnsenkungen. 1916 traten wegen so einer Massnahme 70 Arbeiterinnen und Arbeiter in den Streik. Hug musste die Lohnkürzung zurücknehmen. Ein Jahr später bezog das blühende Unternehmen das grosse Produktionsgebäude an der Lagerstrasse mit Bahnanschluss, die heutig Stuco.
Am Ende des Kriegs beschäftigte Hug rund hundert Arbeiterinnen und Arbeiter. Aber der Frieden brachte vorerst kein Glück. Der Markt war rasch übersättigt. Zwar wurde das Leder wieder billiger, aber die grossen Lagerbestände mussten zu Schundpreisen im Ausland verkauft werden. Die Firma, die später den kleinen Uhu im Logo zeigte, geriet in die erste existenzielle Krise. Den Ausweg sah die Firmenleitung in der Produktion von Lederschuhen, zu Beginn von Sandalen. Der Absatz war reissend. Beinahe-Untergang und Boom lagen nahe beieinander. 1919 wurde Hug die zweitgrösste Schweizer Schuhfabrik, und ab 1920 produzierte sie auch Kinder- und Erwachsenenschuhe ganz aus Leder. Die Holzschuhfabrikation, die Hug grossgemacht hatte, begann man einzustellen. Um vor allem der tschechischen Marke Bata mit einer Schwemme von Billigimporten und ihrer Expansion in die Schweiz Paroli bieten zu können, führte Hug das Fliessband ein und baute ab 1931 ein eigenes Filialnetz mit Läden auf. Hug gehörte inzwischen zu den sozial fortschrittlicheren Firmen. 1930 gab es eine paritätische Arbeitslosenkasse in der Firma, was nahelag, da Schuhfabriken oft Kurzarbeit schoben, 1931 wurde die firmeneigenen Pensionskasse gegründet, 1941 kam ein Wohlfahrtsfonds dazu, ab 1942 gehörten auch die Verkäuferinnen in den Filialen bei der Pensionskasse dazu.
Hugs (aus damaliger Sicht) schicke Standardschuhe im unteren Preissegment waren so erfolgreich, dass die Firma an der Unterstrasse ein grosses mosersches Gebäude, dreistöckig und im Schulhausstil, für die Verwaltung übernahm und 1933 ein grosses, hypermodernes Werk in Dulliken eingeweiht werden konnte. Damit verlagerte sich das Gros der Produktion nach und nach in den Aargau, also in die Nähe von Konkurrent Bally, der grössten Schweizer Schuhfirma. 1936 übernahm Hug die konkursite Schuhfabrik Rigi in Kreuzlingen. In den dressiger Jahren beschäftigten drei Schuhfabriken in Herzogenbuchsee über 1000 Personen, darunter Hug im Jahre 1933 890. Die Schuhfabrik Stengelin hatte um 1930 103 Arbeiterinnen und Arbeiter, die Schuhfabrik Wyss 1933 1245 Arbeiterinnen und Arbeiter.
Kriege sind für Schuhfabriken, wenn sie nicht das eigene Land betreffen, eher ein Glücksfall. Zwar ging auch ab 1939 die Produktion zurück, aber die Marge war gut und der Rohstoffmangel fiel mässiger aus als im Ersten Weltkrieg. Als Europa nachher langsam wieder zum Frieden (und zum Kalten Krieg) kam, die Konjunktur anzog und italienische Fremdarbeiter für tiefe Lohnkosten sorgten, beschäftigte die Firma Hug, immer noch mit Hauptsitz in Herzogenbuchsee, rund 1400 Personen und produzierte über eine Million Paar Lederschuhe pro Jahr. Auf dem Höhepunkt in den fünfziger Jahren besass Hug 40 Filialen in der ganzen Schweiz und exportierte erfolgreich ins Ausland.
Ab den sechziger Jahren konnte Hug bei den Herstellungskosten mit ausländischen Konkurrenten aber nicht mehr mithalten. In Dulliken gab es 1965 noch knapp 390 Arbeitsplätze. Die Firma ereilte gegen Ende des Jahrzehnts das Schicksal der ganzen Schweizer Schuhindustrie: Sie musste die Produktion einstellen. Das tat die Firma Hug 1968. 1982 kam auch der Verkauf zum Erliegen. Bis auf die Stuco an der Lagerstrasse sind alle hugschen Gebäude abgerissen. Das seinerzeit als mustergültig gelobte Industriewerk von Robert Schild in Dulliken wurde 2005 verkauft und kürzlich in schicke Lofts umgewandelt.
Hans Kaspar Schiesser